Pressemitteilung zum Vortrag Felix Perreforts

Referat für politische Bildung des AStA der Universität Mainz öffnet Podium für Islamophobie

Gemeinsame Stellungnahme der Amnesty International, Muslimischen und UNICEF Hochschulgruppen

Wir fühlen uns aufgrund eines Vortrages von Felix Perrefort an der Universität Mainz am 18. Juni um 17 Uhr dazu veranlasst, öffentlich zur Thematik Stellung zu beziehen. Wir bewerten den gehaltenen Vortrag insgesamt als islamophob und rassistisch [1]. Somit sind das grund- und menschenrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot, sowie die Religionsfreiheit gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung abzuwägen. Wir möchten dies im Folgenden genauer begründen:


Inhalte und Kritik waren dem Referat für politische Bildung im Vorfeld bekannt

Die Inhalte des Vortrages waren vorherzusehen, in den Sozialen Medien bereits detailliert beschrieben und kritisiert worden [2-4], somit konnte im Vorfeld die Wirkung abgeschätzt werden. Es wurde sich aber bewusst dazu entschlossen den Vortrag dennoch durchzuführen auf Kosten der verfassten Studierendenschaft. Wie der Referent für politische Bildung des AStA einem Mitglied der Amnesty International Hochschulgruppe mitteilte, ist das Gehalt des Vortragenden nachträglich reduziert worden, jedoch sei eine Ausladung nicht möglich gewesen. Somit wurde ein Podium geboten für die Propagierung einer angeblichen Islamisierung Deutschlands und anhand zahlreicher Beispiele die angebliche Bedrohung durch den Islam aufgezeigt, die durch die Lehre der Religion selbst begründet sei. Der dadurch konstruierte Stereotyp einer/eines per se radikalen und gewalttätigen Muslim_in konnte somit auch durch zahlreiche kritische Wortbeiträge des Publikums aufgrund der emotionalen Diskussionslage, zahlreichen Unterbrechungen und zu wenig Raum dafür leider nicht wieder richtiggestellt werden.
Dem Mitglied der Amnesty Hochschulgruppe wurde vom Veranstalter in einem persönlichen Gespräch zudem versichert, dass der Inhalt des Vortrages nicht unterstützt wird. Offensichtlich schafft man es dennoch nicht sich davon öffentlich zu distanzieren. Ganz im Gegenteil, der Vortrag sei, laut AStA, „insgesamt trotz solcher Vorfälle in mehrerer Hinsicht als Erfolg zu bewerten” [5].

Beschneidungen, Zwangsheirat und „Ehrenmorde“ kein explizit religiöses Phänomen

Zwangsehen oder die Beschneidung von Frauen wurden als rein islamische Probleme dargestellt. Selbstverständlich sind Menschenrechte unvereinbar mit Unfreiheit oder Diskriminierung, auch wenn sie im Namen von Religion oder Kultur propagiert werden sollten. Das Problem ist jedoch nicht der Islam als solcher. Die Beschneidung von Frauen findet sich laut UNICEF in vielen Ländern verschiedener Kontinente unter verschiedenen Religionen* [6,7,18], kommt aber auch unter Menschen ohne Konfession vor [7]; gleichzeitig kämpfen weltweit muslimische Gelehrte und Organisationen dagegen an, somit kann auch nicht von einer, wie Perrefort ausführt „islamischen Herrschaftspraxis“ gesprochen werden [8]. Auch die Zwangsehe kommt nicht etwa nur in Staaten, in denen viele Muslim_innen leben, vor. Sie ist ein weltweites Problem und es sind sowohl Fälle im Islam, als auch in anderen Religionen u. A. in buddhistisch, hinduistisch oder christlich geprägten Gesellschaften oder Kulturen überall auf der Welt bekannt [9,10]. Religiös oder sozial durchgeführte Eheschließungen machen etwa ein Drittel der Zwangsverheirateten aus und betreffen mehrheitlich die unter 18-jährigen [11].
Wie Perrefort richtig erkennt ist das Phänomen des „Ehrenmordes“ nicht nur ein muslimisches. „Ehrenmorde“ in allen Teilen der Welt, auch in Europa, in allen soziokulturellen Milieus führen auch Terre des Femmes zu der Aussage, dass wir es hier nicht mit einem religiösen Phänomen zu tun haben [12,13] – im Gegensatz zu Perrefort, der es „natürlich als auch ein muslimisches“ identifiziert [8].
Man muss davon ausgehen, dass für die überwiegende Mehrheit der Muslim_innen in Deutschland Zwangsheirat und andere Verbrechen im Namen der Ehre gänzlich inakzeptabel sind [14].

Die Explizitheit des Antirassismus führt nicht zum Appeasement von Islamismus

Perrefort wirft dem „Antirassismus“ vor, den Islam nicht als „totalitäre Ideologie“ zu kritisieren oder als „vormoderne Herrschaftsideologie“ zu begreifen [8]. Wenn er dem Antirassismus vorwirft „die Kritik der Wirklichkeit durch eine ihrer sprachlichen Darstellung“ [8,15] zu ersetzen, verkennt Perrefort, dass sprachliche Darstellung Abbilder der Wirklichkeit konstruiert und wie Menschen durch das gewalttätige und diskriminierende Potenzial von Sprache verletzt werden. Dies offenbart nicht nur sein mangelhaftes Verständnis des Islam als multikulturelle Strömung, obwohl er eine innermuslimische Vielfalt anerkennt, sondern auch seine zu kurz gegriffene Vorstellung von Antirassismus. Durch seine Verweigerung zwischen verschiedenen (liberalen) islamischen Strömungen und Islamismus als Ideologie klar zu differenzieren, konstruiert er den Stereotyp eines/einer per se gewalttätigen Muslim_in.
Dass Perrefort keinen großen Wert auf sprachliche Präzision legt, bestätigen nicht nur seine Ausführungen zu Antirassismus, sondern auch die Verwendung von Worten wie „Willkommenskultur“, „unregulierte Einwanderung“ oder „Islamisierung“, wie sie auch im neorassistischen Sprachgebrauch der „Neuen Rechten“ oder der „identitären Bewegung“ genutzt werden, um vor einem bevorstehenden „Großen Austausch“ zu warnen [16] oder den Counter-Dschihadisten, die Muslim_innen als eine homogene Gruppe von Extremist_innen darstellen [17]. Gleichzeitig wirft er dem Antirassismus vor, nicht „über die unregulierte Einwanderung vermittelte Islamisierung als reales und bedrohliches Phänomen zu reflektieren“. Er verkennt damit, dass die Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine Bedrohung durch den Islam besteht, nicht auf eine Form von „Appeasement“ zurückzuführen ist, sondern dass für ihre Beantwortung eine eindeutige Differenzierung von Begrifflichkeiten erforderlich ist, nämlich der Notwendigkeit zwischen Muslim_innen (im Sinne von Menschen, die der Religion des Islam angehören), friedlichen oder gewalttätigen Islamist_innen (im Sinne eines politischen Islam) und Terrorist_innen zu unterscheiden** [14]. Er bedient sich somit nicht nur der Rhetorik und den Argumentationsmustern der „Neuen Rechten“, sondern betrachtet auch Probleme, wie Antisemitismus, Sexismus oder religiösen Extremismus, nur noch im Kontext von Einwanderung und dem Islam. Dies ist erkenntnistheoretisch falsch und schürt rassistische Ressentiments gegenüber dem Islam und Geflüchteten.

Recht auf freie Meinungsäußerung nicht grenzenlos

Nach Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat jeder Mensch das Recht auf freie Meinungsäußerung, allerdings nicht schrankenlos. Artikel 30 besagt, dass bei der Ausübung der eigenen Menschenrechte kein Menschenrecht einer anderen Person verletzt werden darf. Wenn also gegen Artikel 2 der Menschenrechte verstoßen wird, kann sich bei Verletzung dieses Verbotes der Diskriminierung nicht gleichzeitig auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen werden.

Update am 15.7.2018: siehe: **
** Ergänzungen zur ursprünglichen Fassung:
Es sollte nicht nur zwischen, Muslim_innen und Islam_istinnen unterschieden werden, sondern selbstverständlich auch keine Gleichsetzung mit Terrorist_innen stattfinden.

[1] Siehe auch: Die Bundesregierung: Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus, Positionen und Maßnahmen zum Umgang mit Ideologien der Ungleichwertigkeit und den darauf bezogenen Diskriminierungen
(https://www.bmfsfj.de/blob/116798/5fc38044a1dd8edec34de568ad59e2b9/nationaler-aktionsplan-rassismus-data.pdf)

[2] Campusgrün Mainz: Stellungnahme, 5.6.2018
(https://www.facebook.com/campusgruen.mainz/posts/1694859513884145)

[3] Gutmenschliche Aktion Mainz (Zusammenschluss linker Gruppen in Mainz): Text vom Antifaschistischen Aufbau Mainz, 29.6.2018
(https://www.facebook.com/gutmenschen.mz/posts/2166179260321733)

[4] Antifaschistischer Aufbau Mainz: „Informationen über den Referenten „Felix Perrefort““, 23.5.2018
(https://antifa-mainz.org/wp-content/uploads/2018/05/Informationen-u%CC%88ber-Felix-Perrefort.pdf)

[5] Pressemitteilung des AStA der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zur Veranstaltung am 18.06.2018 – Vortrag von Felix Perrefort: „Islamisierung und antirassistisches Appeasement“
(https://www.facebook.com/asta.mainz/posts/1750100838401249)

[6] UNICEF: Female Genital Mutilation/Cutting, A statistical overview and exploration of the dynamics of change, 2013
(http://data.unicef.org/wp-content/uploads/2015/12/FGMC_Lo_res_Final_26.pdf)
[7] UNICEF: Female Genital Mutilation/ Cutting, Country Profiles, 2016
(https://data.unicef.org/resources/female-genital-mutilation-cutting-country-profiles)
[8] Felix Perrefort: Islamischer Antirassismus, „Zur antirassistischen Unfähigkeit, den Universalismus gegen die Islamisierung zu verteidigen“, 2018
(https://doi.org/10.1515/zksp-2018-0004)

[9] AMNESTY INTERNATIONAL: Positionspapier der deutschen Sektion von Amnesty International, Sektionskoordinationsgruppe „Menschenrechtsverletzungen an Frauen“, 2006
(http://www.amnesty-frauen.de/Main/Zwangsheirat?action=download&upname=Zwangsheirat_Position_AI.pdf)

[10] UNICEF: Anteil der Frauen, die vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet waren, 2014
(https://www.plan.de/kinderschutz/zwangsheirat.html)

[11] TERRE DES FEMMES: Schwerpunkt STOP Frühehen! – Eine Dokumentation, 2014-2016
(https://www.frauenrechte.de/online/images/downloads/fruehehen/TDF-Dokumentation-STOP-Fruehehen.pdf)
[12] TERRE DES FEMMES: Studie: Ehrenmord, Myria Böhmecke
(https://www.humanrights.ch/upload/pdf/070416_TDF_Studie_Ehrenmord.pdf)
[13] AMNESTY INTERNATIONAL: Positionspapier, Verbrechen im Namen der Ehre, 2008
(https://www.amnesty.de/verbrechen-im-namen-der-ehre-ehrenmorde)
[14] Deutsches Institut für Menschenrechte: Das Islambild in Deutschland, Zum öffentlichen Umgang mit der Angst vor dem Islam, Heiner Bielefeldt, 2008
(https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/essay_no_7_das_islambild_in_deutschland.pdf)
vgl. BMI, Muslime in Deutschland, a.a.O., S 494: „Hier lässt sich ein Potenzial von knapp 6% der Muslime erkennen, die als gewaltaffin im Sinne einer Akzeptanz massiver Formen politisch-religiös motivierter Gewalt zu kennzeichnen sind, was in etwa der Größenordnung entspricht, die Gallup in Berlin mit Blick auf die Legitimation von politischer Gewalt finden konnte.“ Im Einzelnen weist die Studie des BMI bedeutsame Differenzierungen sowohl zwischen den unterschiedlichen Teilgruppen der Befragung als auch zwischen unterschiedlichen gewaltaffinen Items auf.

[15] Facebook Veranstaltungsankündigung: Felix Perrefort – Islamisierung und Antirassistisches Appeasement, 18.6.2018 17:15 bis 18:45 Uhr
(https://www.facebook.com/events/616398532057072)

[16] Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Neorassismus: Neue Rechte und alte Ideen“, 2018
(https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Factsheet_Identitaerer_Neorassismus.pdf)

[17] Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Organisierte Islamfeindlichkeit: Die Inszenierung des Counter-Dschihad“, 2018
(https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Fact_sheet_CounterJihad_a4.pdf)

*Ergänzungen zur ursprünglichen Fassung:
Wir hatten in der ursprünglichen Fassung unserer Stellungnahme das Christentum und Judentum aufgeführt, weiterhin kommt die Genitalverstümmelung jedoch z.B. auch unter Animist_innen vor, die Aufzählung war da-her nicht vollständig. Im Judentum findet sich laut der folgenden Quellen Genitalverstümmelung. Da uns aller-dings nur Berichte zu einem einzelnen Land vorliegen, sind wir zum Entschluss gekommen dies nicht weiter in unserer Stellungnahme zu erwähnen. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen in diesem Zusammenhang keine Religion explizit zu erwähnen.

[18] Belmaker: Successfull cultural change: The example of Female Circumcision among Israeli Bedouins and Israeli Jews from Ethiopia, 2012
http://doctorsonly.co.il/…/11/Successful-Cultural-Change.pdf

20. Juli 2018